Dienstag, 22. März 2016

Egoismus

An Tagen wie diesen frage ich mich, wie es weiter gehen soll.
Eigentlich mime ich ja nach Aussen immer die Starke, die, die alles übersteht.  Und natürlich kämpfe ich auch innerlich dafür, dass es weiter so wirkt. Heute allerdings habe ich wieder einmal deutlichst gemerkt, wie "schlecht" es mir eigentlich geht.
Ich setze dies in Anführungszeichen, denn wie sagen meine Freunde immer zu mir: "Schlechter geht immer."
Sie haben im Prinzip recht und ich mag es auch nicht, wenn meine Gedanken in den Negativraum abwandern.
Aber an Tagen, wie heute, fällt es mir schwer optimistisch zu sein.

Ärztlich wurde ich angewiesen viel zu laufen. Und normalerweise bin ich die Erste die sofort ärztliche Anweisungen befolgt.
Allerdings fällt es mir doch sichtlich schwer genau diese Erwartung zu erfüllen.
Ich mühe mich ab. Jeden einzelnen Tag gehe ich ohne Ziel raus. Ich laufe und laufe. Doch die Blicke, die ich dadurch auf mich ziehe, bereiten mir Unbehagen.
Ich laufe, aber wenn man von 90 Jährigen Frauen mit Hüftschaden und Rollator überholt wird, ist das ein schlimmes Gefühl.
Noch schlimmer aber ist es, wenn alle schnurgerade an einem vorbei schlendern, während man selbst sich auf jeden einzelnen Schritt konzentrieren muss, um nicht wie ein Betrunkener den ganzen Gehweg einzunehmen.
Dazu kommen dann noch ungläubige Reaktionen / Blicke, wenn man es nicht schafft, die Ampel während der Grünphase zu überqueren oder quälend langsam den Verkehr aufhält, nur weil man den Zebrastreifen zu überqueren versucht.
Ich möchte nicht jammern. Es gibt Menschen, die nicht laufen können, denen Beine amputiert wurden oder aber eben nicht ohne Hilfsmittel vorwärts kommen. Ich dagegen kann laufen, im Schneckentempo, aber ich kann es.
Doch dennoch spüre ich die Blicke auf mir und stelle mir die Frage, was andere über mich denken mögen, auch wenn mich ihre Gedanken eigentlich nicht interessieren.
Heute ist wieder so ein Tag, so ein Tag, an dem mir klar wird, dass ich endlich wieder normal laufen können will. Doch wie soll ich das schaffen? Immer, wenn ich das Gefühl habe, dass es besser wird, kommt wieder ein Schub und dann? Alles von vorne, wieder bei 10% beginnen.
Immer wieder entschuldige ich mich bei anderen dafür, dass ich schleiche, obwohl ich nichts dafür kann. Und jeder Tag, an dem ich raus gehe, in Begleitung, ertappe ich mich dabei, wie ich darüber nachdenke, ob ich eine Belastung für meinen Begleiter darstelle. Ich halte auf. Ich fühle mich schlecht, wenn ich hinter her laufe, obwohl man gemeinsam unterwegs ist.
Ob sich das irgendwann einmal wieder ändert? Und wenn ja, wann? Wie lange muss ich noch in diesem Zustand verweilen?
Es mag vielleicht so wirken, als ob es mir gut geht, aber es ist nicht so. Es ist nur das, was ich anderen vormache. Ich mache es vor, weil ich mir selber meistens nicht eingestehen will, dass es mir schlecht geht.
Nicht einmal dann, wenn es mich meine letzte Kraft kostet, will ich zeigen, wie schlecht es mir geht.

Vor ein paar Monaten, als ich in der Klinik war, sah niemand, wie schlecht es mir wirklich ging. Wie bereits gesagt, das will ich auch nicht, auch wenn der einzige Ort, an dem man es doch eigentlich zeigen sollte, eben die Klinik ist.
An einem Abend, nachdem ich abführen musste, was ich nur mittels intravenöser Gabe eines Antibrechmittels überstand, ging es mir so schlecht, dass es mir um so schwerer fiel, stark zu sein. Ich spürte, dass mein Kreislauf mich allmählich im Stich liess, mir war heiss und kalt zugleich, ich zitterte schlimmer denn je. Ich ging duschen, statt um Hilfe zu bitten. Ich ging nach draussen an die freie Luft, statt den Pfleger um Hilfe zu bitten, welcher mich auf dem Flur auf dem Weg zum Ausgang sah. Ich fuhr mit dem Fahrstuhl runter und ging raus.
Ich war ein böses Mädchen und steckte mir wider besseren Wissens eine Zigarette an, und ich schmiss sie direkt wieder weg, denn der Schwindel wurde übermächtig, auch ohne an der Zugarette zu ziehen. Ich quälte mich wieder ins Gebäude, in der Nacht, nicht ohne mich mehrfach setzen zu müssen. Im Fahrstuhl angekommen musste ich all meine Kraft aufbringen, um nicht um zu kippen. Ich hatte sehr viel Mühe mich auf den Beinen zu halten. Auf Station angekommen, suchte ich das nächste WC auf. Mir war übel. Aber es kam nichts, ich hatte einfach das Gefühl, dass sich alles in mir zuschnürte. Mit etwas kaltem Wasser im Nacken und Gesicht liess das Gefühl wieder nach, aber der Schwindel blieb und meine Beine waren bleischwer, jeder Schritt eine Qual.
Als ich das WC verliess, sah mich der Pfleger und fragte sofort, ob alles okay sei und wie ich so bin, spielte ich es herunter. Nein es war nicht okay. Ich sagte, mir sei Schwindelig.
Er half mir ins Zimmer, ich sass auf dem Bett und als er Blutdruck und Puls maß, stellten wir fest, dass mein Blutdruck normal war, aber mein Puls raste.
Nachdem ich ein wenig getrunken hatte und im Bett lag, schlief ich kurz ein. Das half.
Am mächsten Morgen kam ein Arzt und fragte mich, was los gewesen sei, ob man sich nun Sorgen machen sollte und ob das öfter vor käme. Ich spielte es wieder herunter. Schwindel kannte ich ja. Öfter. Aber normalerweise messe ich sicher meinen Puls nicht und normalerweise hilft es, wenn ich duschen gehe.
Ich habe mir deshalb nie besonders Sorgen gemacht und so schlimm scheint es ja auch nicht zu sein, denn immerhin prüft auch jetzt niemand genauer nach.
Schlimmer geht es immer. Aber es war wieder eine typische Situation für mich.
Ich war überfordert. Mit der Situation, mit dem Abführen, mit dem Nichtwissen. Ich bin mit meinem Körper überfordert, weil er nie macht, was ich von ihm verlange. Ich verlange mein altes Ich zurück. Und das will er mir nicht geben.

An Tagen wie heute ist mir das alles eine Last. Eine Last, die ich tragen muss. Denn abgesehen von meiner Familie und meinen Freunden stellen viele nur Fragen, dessen Antworten sie nicht hören wollen, nicht ernst nehmen oder noch mehr herunter spielen, als ich es ohnehin schon mache.
Alles dauert seine Zeit, aber meine Zeit läuft irgendwann ab, wenn sich nicht bald etwas ändert.
In diesem Jahr (immerhin erst 3 Monate jung), ist schon weit mehr mit mir passiert, als in den ganzen letzten knapp 2 Jahren zuvor.
Aber dennoch ist das kein Grund zur Eile, warum auch, es geht eben nur um mein Leben, mein Empfinden, meine Sorgen und Zukunftsängste. Vielleicht denke ich auch einfach nur zu egoistisch.  

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Bekämpfung von Ängsten

 Wenn man Angst vor einer Erkrankung entwickelt, weil viele Informationen nach einer Neudiagnose auf einen herniedergehen, dann ist es oft s...