Samstag, 26. Oktober 2019

Bildung trotz chronischer Erkrankung

Lange überlege ich, was es zu schreiben gibt. Was interessiert mich im Moment, was meine Leser. Dieser Blog ist ein Tagebuch, aber dient genauso auch der Aufklärung. Was ich niederschreibe, sind Fakten, sind Emotionen, sind aber auch subjektive Meinungen und Erfahrungen, genauso wie objektive, wenn ich etwas erzähle, was mit meiner Tochter und ihrer eigenen Behcet Erkrankung zu tun hat. Seit August ist viel geschehen. Gutes, Schlechtes, viele Triggermomente, dadurch auch Schübe, die ich so evt. nicht bekommen hätte, oder vielleicht doch?

Ein Thema, dass für Erwachsene Betroffene natürlich so keine Rolle spielt, unsere kindlichen Mitbetroffenen aber erleben und durchleben müssen, ist das Thema Bildung an Kitas und Schulen. Und als chronisch krankes Kind ist dies ein unglaublich schweres Thema. Auch zu Zeiten der Integration und der Inklusivität. 
Als meine Tochter noch klein war und in die Kita ging war es nie ein Problem sie einfach an Tagen, an denen es ihr schlecht ging, sie hatte damals noch keine Diagnose, zu Hause zu behalten, sie zu bemuttern und sie aufzupäppeln, so dass sie meist schon am Folge-Tag wieder bereit war hin zu gehen. 
Dann aber begann die Schulzeit, es herrscht Schulpflicht in Deutschland und sobald ein Kind also  hier beginnt, ist es gebunden. Es muss in die Schule, es sei denn es ist krank. Was wir damals nicht ahnten war, dass es unsere Tochter ebenfalls getroffen hat: Behcet. Und das in so jungen Jahren. Wir wussten, dass etwas nicht in Ordnung war, von Geburt an, aber ich hätte ihr gewünscht, dass es nicht DAS ist.
Doch auch wenn sie super Leistung zeigte in der Schule, sie mit guten Noten von einem zum nächsten Schuljahr kam, sie fehlte oft, sehr oft, in der Schule. Und dann kam der Tag der Tage, sie bekam orale Aphten! Unsere ehemalige Kinderärztin versuchte uns zu beruhigen, viele Kids hätten ja Aphtose in jungem Alter. Das sei normal! Was sie nicht wusste, dass ich selbst diese Diagnose habe, also bestand ich darauf, dass sie Blut abnimmt und nach HLA B51 schaut. Denn in Anbetracht der vielen Krankheitstage und der nun vorhandenen Aphtose war ich mir ziemlich sicher. Und es wurde tatsächlich auf Positivität getestet.
Wir ließen uns also eine Überweisung zum Kinder und Jugendrheumatologen geben, ich organisierte den Termin und führte zugleich Tagebuch. Aber, eben weil ich unzufrieden war mit der Aussage der Kinderärztin, sie dazu noch sehr weit weg zog von uns mit der Praxis und ich mit einem kranken Kind dann nicht mehr Mal eben zu ihr konnte, wechselten wir die Kinderärztin zu einer Kollegin, die uns ans Herz gelegt wurde, auch, weil sie bereits mit anderen Kindern mit suchen Erkrankungen und behinderten Kindern arbeitet. 
Dann ging der Stress erst richtig los. Aus einer Aphte wurden wiederkehrende Aphten, aus Wachstumsschmerzen wurden Gelenk- und Muskelschmerzen immer genau dann, wenn die Aphten auftauchten. Die Augenlider waren permanent auffällig und rezidivierend entzündet und die Augen selbst trocken. Das Kind bekam Nasenbluten und dann eines Tages sogar Darm Blutungen mit Übelkeit und Erbrechen aus dem Nichts heraus. Nach 6 Monaten Klinik Diagnostik und Tagebuch führen, fingen wir an erst einmal in dieser Zeit immer Ibuprofen zu geben. Nach weiteren 6 Monaten bekam sie Colchizin verordnet. Zunächst einmal am Tag. Weitere 6 Monate später dann 2x am Tag. Nachdem auch diese Dosis nicht mehr ausreichte, wurde auf 3x täglich erhöht und siehe da, eine ganze Weile Lang hatte das Kind kaum noch Probleme dafür aber kämpfte sie selbst emotional psychisch mit der Erkrankung und den Schüben, so dass sie schwer depressive Phasen entwickelte, die sich dann auf ihre Schulnoten auswirken. Bis zu diesem Jahr, dem Jahr 2019. Das Jahr fing schon sehr unruhig an, auch wegen meiner eigenen Schübe, doch schon im März, nachdem ich meine erste bewusste Thrombophlebitis hinter mir hatte, klagte sie über Schmerzen an bestimmten Punkten im Körper. Ich begutachtet und sah, dass an allen besagten Stellen Venen dick hervor stachen. Also ging es zunächst zur Kinderärztin, aber da auch Heparinverbände und kühlen nicht halfen, ging es stationär ins Klinikum zu ihrem ersten Kortisonstoss. Erfolgreich zogen die Venen sich zurück und die Schmerzen gingen, doch kein Monat später, landeten wir schon wieder dort. Wieder Kortisonstoss, wieder die Venen.
Dann hatten wir kurze Zeit etwas Ruhe, abgesehen von Aphten Schüben. Als im Juli bereits wieder ein Kortisonstoss notwendig wurde. Wir begannen mit MTX 15mg wöchentlich, in der Hoffnung es wieder in den Griff zu bekommen. Doch im September landeten wir wieder im Krankenhaus zum Kortisonstoss und das in der ersten Schulwoche auf der neuen Schule. Daher konnte sie nicht mal einen Tag lang die Klassenfahrt begleiten, da wir wieder einmal eben im Klinikum waren. Wir erhöhten MTX auf 17.5mg und leider hatt es sich auch weiterhin nicht gebessert, statt dessen hat das Kind schon wieder Venen Entzündungen im ganzen Körper. Laut Telefonat mit ihrer Ärztin sind wir daher auf dem Stand "Die Erkrankung ist ausser Kontrolle, wir werden ab Ende des Jahres ein anderes Medikament alle 4 Wochen über die Vene beginnen.". Bis dahin fahren wir nun nächste Woche in ein anderes Klinikum, wo sie vermutlich erst einmal noch Kortison bekommen wird und man an ihrer Spritzen Phobie arbeiten wird, welche sie im Verlauf der vielen Behandlungen der letzten Jahre entwickelt hat. Aber leider nicht in den Ferien, sondern während der Schulzeit. Und ihr Schulweg wird noch lange so weiter gehen. Nun ist Schule nicht gleich Schule. Es gibt Schulen, die haben Fördermöglichkeiten für solche Kinder, und wiederum andere, die es nicht leisten können. Unsere Tochter ist nun auf einer Schule, die ihren Schwerpunkt im sogenannten MINT Bereich hat. MINT ist die Abkürzung für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. In dieser Schule gibt es eine wöchentlich fest statt findetende lesestunde, an der die gesamte Schule gemeinsam liest. Ausserdem gibt es LRS Unterricht und viele andere Fördermöglichkeit. Die Schule arbeitet eng mit Psychologen, Jugendamt und Schulsozialarbeitern zusammen und hat ein grosses Kontingent an IHelferin und Freiwilligendienstlern, die die Lehrer im Unterricht begleitend helfen. Es gibt einen Schulsanitätsdienst und die Lehrkräfte sind sehr gut zum Beispiel auf unsere Tochter vorbereitet. 
Es geht ihr an dieser Schule sehr gut. Dieses Glück haben aber nicht alle chronisch kranke. KINDER. Deshalb sollten alle Eltern solcher Kinder darüber informiert sein, welche Rechte ihre Kinder haben. Zum Beispiel zusätzliche Pausenzeiten, Verlegung von Prüfungen an bessere Tage, Prüfungen alleine in einem Raum, damit sie sich besser konzentrieren können und vieles mehr, nur eines ist da zu beachten. Man muss all das immer rechtzeitig vorher beantragen beim Schulleiter. 

Gerade auf weiterführenden Schulen, in der Ausbildung, beim Studium sind solche Informationen elementar, aber sofern man nicht mit Ärzten, Therapeuten oder mit Lehrkräften zu tun hat, die sich damit auskennen, bzw. bereits solche Fälle hatten, ist an solche Informationen zu kommen, absolut schwierig, wenn man nicht vorab schon weiß, dass das Kind besondere Rechte hat.

Auch wir sind nach viel Stress an der alten Schule erst jüngst an diese Informationen gekommen, aber um so dankbarer, dass die neue Schule schon von sich aus all solche Möglichkeiten unserem Kind geboten hat, wodurch sie super in der neuen Schule angekommen ist und von ihren Mitschülern, welche umfassend eingewiesen wurden, angenommen und eingebunden wurde. 

Ihre Mitschüler und Lehrer helfen unserer Tochter, wie es in Ihrer Macht steht, Sie vermissen sie, wenn sie mal wieder krank oder in der Klinik ist und freuen sich sehr, wenn sie wieder in die Schule kommt. In der Zeit, die sie dann in der Schule ist, bekommt sie Förderung, und es wird darauf geachtet, ob es ihr gut geht. Dadurch besucht unsere Tochter diese Schule sehr gerne, hat dort Freunde gefunden, statt wie vorher gemobbt zu werden. 

Schule mag Pflicht sein, aber sie muss für chronisch kranke Kinder nicht auch noch zur Hölle werden. Es ist an uns allen, dass auch kranke Kinder eine gute berufliche und schulische Chance haben. Auch ihnen sollte im Rahmen ihrer Möglichkeiten eine blühende Zukunft bevorstehen. 

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